Juni 02, 2014

Wer hat Angst vor dem Shitstorm?

Shitstorm

“Natürlich haben wir viel gelernt. Gerade was unsere Kommunikation angeht. Wir haben den Shitstorm unterschätzt”, so Sven Kuelper (Chef von Mytaxi) im Interview mit Wall Street Journal.

Warum man vor Shitstorms keine Angst haben braucht

Der Begriff Shitstorm ist vor ein paar Jahren sehr erfolgreich von Sascha Lobo platziert worden und beherrscht seitdem nicht nur die Köpfe von Kommunikatoren, sondern von ganzen Unternehmen. Vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen, die nicht im Technologie- oder Kommunikationsbereich täig sind, ist die Angst vor dem Shitstorm ein Grund, nicht den Dialog zum Kunden oder potenziellen Kunden via Social Media zu suchen. Die Wahrheit ist: Niemand braucht vor einem Shitstorm Angst zu haben. Diese Ansicht vertrete ich nunmehr seit etwa einem Jahr. Ich beobachtete, wie schnell die Medienwellen mittlerweile aufbrausen und ebenso abklingen. Die zeitlichen Abstände, mit denen die Unzufriedenheit in Shitstorms ausartet, werden immer geringer und geringer. Es vergeht mittlerweile keine Woche mehr, ohne dass irgendein Unternehmen oder irgendeine Organisation “Opfer” eines Shitstorms wird. Je öfter Shitstorms auftreten, desto sicherer ist auch: ihre ökonomische Wirkung wird geringer.

Wenn der Shitstorm kommt, ist man gelähmt

In der Theorie mag das alles so stimmen. Wenn man aber selbst einmal mit einem Shitstorm konfrontiert wird, dann hilft einem dieses Wissen herzlich wenig. Im Januar befand ich mich inmitten eines solchen Orkans (hier nachzulesen) und musste feststellen: wenn es denn passiert, wird es so richtig unangenehm. Die Geschwindigkeit, mit der die heftigen (und mit Sicherheit bis zu einem gewissen Punkt berechtigten) Kommentare von Usern oder Kunden auf einen einprasseln, lähmen einen. Man hat in einem solchen Moment nicht mal mehr die Chance, auf einzelne Kommentare individuell einzugehen. Jede Antwort braucht Zeit. Zeit, in der zehn, vielleicht auch hundert neue Klagen kommen. Zeit, die man nicht hat.

So widersprüchlich mein nächster Satz auch in dem Kontext klingen mag: dem Unternehmen GLOSSYBOX und mir persönlich hat der Shitstorm im Januar enorm geholfen. Inwiefern? Wir sind als Team zusammengerückt. Wir haben Pläne entwickelt, was in Krisenzeiten zu tun ist. Wir haben einige Abläufe nicht nur hinterfragt, sondern auch geändert. Und nicht zuletzt: Wir haben enorm viel über unsere Kunden gelernt.

Interne Kommunikation als Lösungsmittel

Als sich bei uns die negativen Kommentare auf unserer Facebook-Seite und auch die erbosten Mails beim Kundenservice häuften, gab es diesen einen Moment, an dem klar war: Wir müssen etwas tun. Zugegeben: Optimal wäre es gewesen, wenn wir vorher etwas getan hätten; dann hätte es diesen Shitstorm niemals gegeben. Als wir also begriffen haben, dass das kein normaler Tag werden würde, war mein erster Impuls ein großes Fragezeichen. Ich wusste nicht so recht, was das Problem ist. Niemand hatte mich oder mein Team vorab informiert, dass ein Problem auf uns zukommen könnte. Doch so sehr ich mich auch ärgerte, musste ich mich selbst erinnern: So etwas passiert. Niemand ist perfekt, und auch ich vergesse immer und immer wieder, meine Kollegen über wichtige Dinge zu informieren. Die Wahrheit – oder zumindest meine These – lautet: Unternehmen mit perfekter interner Kommunikation erleiden keinen Shitstorm. Jedoch gibt es diese Unternehmen leider nicht (oder viel zu selten).

Wer nicht fragt, bleibt dumm

Alles, was dann passierte, ging sehr schnell: Ich versammelte alle Leute, die auch nur ansatzweise etwas mit der Angelegenheit zu tun hatten oder Teil des Kommunikationsteams waren, um einen Tisch. Wenn man das hinbekommt, und nicht immer ist das aufgrund von diversen Verpflichtungen aller Beteiligten einfach, schlägt die Stunde der Wahrheit. Wir, die Kommunikatoren, schlüpften in die Rolle von Journalisten und stellten Fragen. Fragen, die bewusst härter waren, als solche, die ich in den nächsten Stunden und Tagen zu hören bekommen würde. Denn wenn man in diesem Moment die Gelegenheit verpasst, die ganze Wahrheit zu “erfragen”, dann hat man nicht nur einen Shitstorm als Aufgabe, sondern auch keine Lösung. Wer Probleme lösen will, muss die Probleme kennen. Alle Probleme. Anschließend gingen wir als Kommunikationsteam in Klausur und identifizierten die zehn dringendsten Fragen (es mögen auch nur neun gewesen sein) und versuchten auf Basis unserer eben stattgefundenen Interview-Situation Antworten zu bestimmen.

Das alles dauerte nicht länger als eine Stunde, und mehr Zeit hatten wir auch nicht. Denn mittlerweile stellten nicht nur Kunden und User, sondern auch Journalisten Fragen. Wir stellten uns eine letzte Frage: Müssen wir in die Offensive gehen und proaktiv kommunizieren, oder reicht es aus, Fragen zu beantworten? Wir wählten die erste Variante.

Fehler nicht wiederholen

Es vergingen ein paar Tage bis sich der Sturm legte. So leicht mir heute das Verfassen dieser Zeilen fällt – so möchte ich diese Momente nicht noch mal durchleben müssen. Wir alle waren enorm angespannt und unter Strom. Rückblickend haben wir viele Fehler gemacht, die wir einige Wochen später, als wir enorm vor einem Problem ähnlichen Ausmasses standen, nicht wiederholt haben. Dieses Mal saßen wir so frühzeitig erneut an einem Tisch, dass wir in Ruhe und ohne jede Anspannung die Kommunikation ordentlich vorbereiten konnten. Es gab keinen Shitstorm, noch nicht einmal negative Kommentare.

Heute danken wir unserem Shitstorm

“Unser Shitstom” hat uns sensibilisiert. Vor jeder auch nur ansatzweise kritischen Maßnahme überlegen wir uns nun: Müssen wir den Kunden vorab informieren? Wie? Und wie würden wir uns fühlen, wenn man uns so behandeln würde? Vor allem diese empathische Sicht hilft Probleme zu lösen, bevor sie auftreten. Wenn sie nämlich bereits existieren, fehlt für Empathie die Zeit.

Shitstoms sind ökonomisch wirkungslos

Mit einigen der Kunden, denen wir damals – so lange es auch dauerte – unsere Sicht der Dinge erklärten, haben wir heute ein so vertrauensvolles Verhältnis, dass wir uns zum Beispiel auf Facebook ihrer Unterstützung sicher sein können, wenn kleinere Probleme auftreten. Denn: Kunden registrieren, wenn Unternehmen in Krisenzeiten menschlich sind und menschlich auftreten. Auch das meine ich, wenn ich sage: Shitstorms sollten auch immer als Chance verstanden werden. Und vor allem kann ich der Studie, die besagt, dass durch Shitstorms ausgelöste ökonomische Schäden nicht abzuleiten sind, zustimmen. Uns geht es heute besser als im Januar, wozu auch der Shitstorm seinen Teil beigetragen.